18.03.2019

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) im Arbeitsrecht

1. Wovor und wen schützt das AGG?

Im arbeitsrechtlichen Teil des AGG werden die Beschäftigten vor Benachteiligungen
  • aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft
  • wegen des Geschlechts
  • wegen der sexuellen Identität
  • wegen der Religion oder Weltanschauung
  • wegen einer Behinderung
  • wegen des Alters oder der sexuellen Identität
geschützt. Diese Benachteiligungsmerkmale sind im Gesetz selbst nicht legal definiert – nach der Gesetzesbegründung sind die Kriterien weit zu verstehen. Die hierzu bereits ergangene Rechtsprechung, sowie die weitere Entwicklung der Rechtsprechung sind zu beachten.
Zu den Beschäftigten im Sinne des Gesetzes zählen:
  • Arbeitnehmer/innen
  • Leiharbeitnehmer/innen
  • Auszubildende
  • Praktikanten/-innen
  • Arbeitnehmerähnliche Personen/Heimarbeiter/-innen
  • Bewerber/-innen für ein Beschäftigungsverhältnis
  • Ehemalige Beschäftigte
Wichtig: Beim Zugang zur Erwerbstätigkeit (z. B. bei der Auftragsvergabe) und für den beruflichen Aufstieg auch Selbständige (freie Mitarbeiter/-innen, Subunternehmer/-innen) und Organmitglieder (Geschäftsführer/-innen).
Das AGG schützt die Beschäftigten vor Benachteiligungen wegen eines der genannten Diskriminierungsmerkmale. Keine Beschäftigte/kein Beschäftigter darf wegen eines Diskriminierungsmerkmals schlechter behandelt werden, als eine andere/ein anderer in einer vergleichbaren Situation.
Eine Benachteiligung kann unmittelbar und mittelbar erfolgen.
Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn eine Person wegen eines der oben genannten Benachteiligungsmerkmale eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation.
Bei einer mittelbaren Benachteiligung können dem Anschein nach neutrale Vorschriften etc. dennoch eine Benachteiligung hervorrufen.
Beispiel: Jubiläumszuwendung
Alle Beschäftigten erhalten nach 20 Jahren Betriebszugehörigkeit eine Prämie in Höhe von 500 €, Teilzeitbeschäftigte erhalten die Hälfte. Da der Anteil an Frauen in Teilzeitbeschäftigungsverhältnissen in der Regel erheblich höher ist als der Anteil an Männern und grundsätzlich eher Männer als Frauen eine langjährige Betriebszugehörigkeit haben, stellt sich die neutrale Vorschrift „Jubiläumszuwendung“ unter Umständen als mittelbare Benachteiligung von Frauen dar.
Als Benachteiligung gelten auch Belästigungen einschließlich sexueller Belästigungen.

2. An wen richten sich die Verbote und wie weit reichen sie?

Das Verbot der Benachteiligung gilt für öffentlich-rechtliche und private Arbeitgeber in Unternehmen jeglicher Größe. Als Arbeitgeber im Sinne des Gesetzes gilt bei der Arbeitnehmerüberlassung/Zeitarbeit auch der Entleiher.
Hinweis:
Auch eine Benachteiligung durch andere Beschäftigte kann sich für den Arbeitgeber als Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten darstellen, die unter Umständen Schadensersatz- und Entschädigungspflichten auslösen kann. Darüberhinaus richtet sich das Benachteiligungsverbot auch an Dritte (z. B. Kunden und Lieferanten).
Das Benachteiligungsverbot umfasst grundsätzlich den gesamten Bereich des Arbeitsrechts.
Unzulässig ist eine Benachteiligung
  • im Bewerbungsverfahren/bei Einstellung
  • beim beruflichen Aufstieg (Beförderung)
  • bezüglich Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen einschließlich Arbeitsentgelt und Entlassungsbedingungen, insbesondere auch in kollektivrechtlichen Vereinbarungen (Betriebsvereinbarungen, Tarifverträgen) und bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses
  • bei der Berufsbildung (Aus- und Weiterbildung) 
Hinweis:
Gemäß § 2 Abs. 4 AGG gelten für Kündigungen ausschließlich die allgemeinen und besonderen Kündigungsschutzbestimmungen. Da die EU-Richtlinien auch Benachteiligungen bei den Entlassungsbedingungen verbieten, müssen Arbeitgeber dennoch jede Kündigung auch im Lichte des AGG prüfen.
Das Bundesarbeitsgericht wendet das AGG unmittelbar auf alle ordentlichen Kündigungen an, die dem Kündigungsschutz nicht unterliegen, also insbesondere Kündigungen im Kleinbetrieb oder vor Ablauf der sechs-monatigen Wartefrist.
Nach den Grundsätzen des Europäischen Gerichtshofs ist die Rechtsprechung der Mitgliedstaaten zudem verpflichtet, die Grundwertungen der Richtlinie möglichst durch Auslegung des nationalen Rechts zur Geltung zu bringen. Für Kündigungen, die dem Kündigungsschutz unterliegen, geschieht dies dadurch, dass die materiellen Diskriminierungsverbote einschließlich der Rechtfertigungsgründe der §§ 1 – 10 AGG zur Auslegung der unbestimmten Rechtsbegriffe des Kündigungsschutzgesetzes, insbesondere zur Konkretisierung der „Sozialwidrigkeit“ einer Kündigung heranzuziehen sind. Für § 626 BGB gilt dieser Auslegungsweg entsprechend.

3. Welche Ungleichbehandlungen sind zulässig?

Nicht alle Benachteiligungen sind unzulässig. Unter bestimmten Voraussetzungen können Ungleichbehandlungen gerechtfertigt sein.
Berufliche Anforderungen (§ 8 AGG)
Eine unterschiedliche Behandlung wegen eines oben genannten Benachteiligungsmerkmales kann zulässig sein, wenn dieses Merkmal wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist.
Beispiele:
Fließende Deutschkenntnisse dürften eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung für eine Radiosprecherin/einen Radiosprecher sein, nicht aber für die Stelle einer Bauhelferin/eines Bauhelfers. Dass eine Pilotin/ein Pilot körperlich fit sein und uneingeschränkte Sehfähigkeit haben muss, dürfte unbestritten sein, weshalb hier eine Ungleichbehandlung wegen einer Behinderung zulässig sein dürfte. Nach der Gesetzesbegründung sollen Organisationen der in Deutschland anerkannten nationalen Minderheiten bevorzugt Personen einstellen dürfen, die der jeweiligen Gruppe angehören.
Umstritten war, inwieweit Kundenerwartungen berücksichtigungsfähig sind, also ob der Unternehmer im Zweifel die Geschäftsbeziehung aufs Spiel setzen muss. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs können Kundenpräferenzen in der Regel keine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung begründen.
Religion oder Weltanschauung (§ 9 AGG)
Religionsgemeinschaften dürfen z. B. hinsichtlich der Religion oder Weltanschauung differenzieren, wenn diese nach der Art der Tätigkeit eine gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt.
Beispiel:
In einem katholischen Kindergarten wird man unter Umständen entsprechende Anforderungen an Erzieher/-innen stellen dürfen. Bei einer Reinigungskraft wäre eine Differenzierung nach der Religion hingegen nicht gerechtfertigt. Hier ist die aktuelle Rechtsprechung, insbesondere die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu beachten.
Alter (§ 10 AGG)
Zulässig sind auch unterschiedliche Behandlungen wegen des Alters, wenn sie objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt sind. Die Vorschrift enthält einen ausführlichen Beispielkatalog, der aber nicht abschließend ist.
Einzelne Beispielfälle des § 10 AGG:
  • Mindestalter/Berufserfahrung für den Zugang zur Beschäftigung oder für bestimmte Vorteile, insbesondere für Entgeltregelungen
  • Höchstalter für Einstellung auf Grund spezifischer Ausbildungsanforderungen oder der Notwendigkeit einer bestimmten Beschäftigungszeit vor dem Ruhestand
  • Festsetzung von Altersgrenzen bei betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit
  • Vereinbarungen, die die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses ohne Kündigung ab Erreichen des Rentenalters vorsehen
Hinweis:
Selbst bei Vorliegen der Beispielfälle wird immer zu prüfen sein, ob die Mittel zur Erreichung des Ziels angemessen und erforderlich sind und ob das Ziel objektiv und angemessen ist.
Ausgleich bestehender Nachteile (§ 5 AGG)
Dieser Rechtfertigungsgrund kommt vor allem in Betracht bei Regelungen, die die Einstellung von Frauen oder von Behinderten fördern sollen.

4. Was sind die Folgen der nicht gerechtfertigten Verletzung des Benachteiligungs-Verbotes?

Hinweis:
Beweislastverteilung: Abweichend von den allgemeinen Beweislastregelungen muss der Beschäftigte oder die Beschäftigte lediglich Indizien beweisen, die eine Benachteiligung wegen eines der oben genannten Benachteiligungsmerkmale vermuten lassen (z. B. eine diskriminierende Stellenausschreibung, entsprechende Bemerkungen im Vorstellungsgespräch). Der Arbeitgeber trägt sodann die volle Beweislast dafür, dass keine Benachteiligung nach dem AGG vorliegt.
Diskriminierende Bestimmungen in Vereinbarungen sind unwirksam (§ 7 ABS. 2 AGG)
Beschwerderecht (§ 13 ABS. 1 AGG) und Maßregelungsverbot (§ 16 AGG)
Benachteiligte können sich bei der zuständigen Stelle des Betriebes beschweren. Der Arbeitgeber darf Beschäftigte nicht wegen der Inanspruchnahme von Rechten nach dem AGG benachteiligen.
Leistungsverweigerungsrecht (§ 14 AGG)
Im Falle einer Belästigung oder sexuellen Belästigung hat der oder die Beschäftigte das Recht zur Arbeitsverweigerung unter Entgeltfortzahlung, sofern der Arbeitgeber keine geeigneten oder aber ungeeignete Maßnahmen zur Unterbindung der Belästigung ergriffen hat.
Schadensersatz und Entschädigung (§ 15 AGG)
  • Schadensersatz
Es besteht Anspruch auf Ersatz des entstandenen Schadens, wenn der Arbeitgeber die Pflichtverletzung zu vertreten hat.
Dies ist der Fall bei:
  • eigenem Verschulden, d. h. bei Vorsatz und Fahrlässigkeit (§ 276 BGB);
  • Verschulden der Organmitglieder, z. B. des Geschäftsführers (§ 31 BGB);
  • Verschulden von Erfüllungsgehilfen, z. B. Vorgesetzten (§ 278 BGB).
​​​​​​Das Verschulden des Arbeitgebers wird dabei vermutet. Die Anspruchstellerin/der Anspruchsteller muss aber zum einen beweisen, dass die Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Merkmals erfolgt und zum anderen, dass dadurch ein Schaden entstanden ist.
Materielle Schäden sind alle Vermögensschäden, bspw. der durch die Diskriminierung entgangene Lohn oder Rechtsanwaltskosten. Der Schadensersatzanspruch ist der Höhe nach nicht begrenzt.
  • ​Entschädigung
Für Schäden, die keine Vermögensschäden sind, kann der oder die Benachteiligte eine angemessene Entschädigung verlangen. Ausgeglichen wird hier die Verletzung der Würde. Dieser Anspruch besteht neben einem eventuellen Schadensersatzanspruch, ist mit dem Schmerzensgeld vergleichbar und der Höhe nach ebenfalls nicht begrenzt. Dieses „Schmerzensgeld“ ist unabhängig vom Verschulden des Arbeitgebers. Die Entschädigungshöhe muss „angemessen“ sein.
Bei Nichteinstellung ist sie auf höchstens drei Monatsgehälter begrenzt, wenn die Einstellung auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht erfolgt wäre. Ansonsten gibt es keine Höchstgrenzen.
Gemäß § 15 Abs. 3 AGG ist der Arbeitgeber bei der Anwendung kollektivrechtlicher Vereinbarungen nur dann zur Entschädigung verpflichtet, wenn er vorsätzlich oder grob fahrlässig handelt.
  • Frist zur Geltendmachung
Schadensersatz und Entschädigung müssen binnen zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden (§ 15 Abs. 4 AGG), es sei denn die Tarifvertragsparteien haben etwas anderes vereinbart. Die Frist beginnt bei einer Bewerbung 5 oder Beförderung mit dem Zugang der Ablehnung, nicht jedoch vor dem Zeitpunkt, ab dem die Bewerberin/der Bewerber Kenntnis von ihrer/seiner Benachteiligung erlangt. Ansonsten beginnt die Frist ebenfalls mit der Kenntniserlangung von der Benachteiligung.
Die Klagefrist für die Geltendmachung der Entschädigung (umstritten ist, ob hiervon auch der Schadensersatz erfasst ist) beträgt drei Monate nach schriftlicher Geltendmachung (§ 61 b Abs. 1 Arbeitsgerichtsgesetz - ArbGG).
Werden die Fristen versäumt, entfällt der Anspruch!
Keine Pflicht zum Vertragsabschluss
Ein Verstoß des Arbeitgebers gegen das Benachteiligungsverbot begründet keinen Kontrahierungszwang, also keinen Anspruch auf Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses, Berufsausbildungsverhältnisses oder auf einen beruflichen Aufstieg, es sei denn dies ergibt sich aus einem anderen Rechtsgrund (bspw. aus einem Tarifvertrag).

5. Was gilt es zu beachten?

Überprüfung interner Abläufe
Alle Arbeitgeber sollten bestehende Arbeitsverträge und Betriebsvereinbarungen auf Benachteiligungen überprüfen, z. B. ob hier Altersdifferenzierungen enthalten sind oder Teilzeitkräfte und damit mittelbar Frauen ungleich behandelt werden. Zur Erleichterung diskriminierungsfreier Personalarbeit sollten Konzepte für Beurteilungssysteme, Bonuszahlungen, Beförderungen, Gesprächsführung bei Einstellung etc. erstellt werden bzw. bestehende Konzepte überprüft werden. Alle Personalentscheidungen sollten dokumentiert werden.
Neutrale Stellenausschreibung
Stellen müssen grundsätzlich durchweg neutral ausgeschrieben werden. Stellen Sie sicher, dass Stellenausschreibungen nicht nur geschlechtsneutral formuliert sind, sondern auch keine Benachteiligung aus den anderen Gründen enthalten. Es wird teilweise empfohlen, auf die Anforderung von Fotos, Alters- und Geburtsortsangabe zu verzichten.
Bei Einschaltung der Bundesagentur für Arbeit bzw. von Personalagenturen hat der Arbeitgeber den Dritten im Hinblick auf diese Vorgaben sorgfältig zu überwachen, ansonsten besteht ein Haftungsrisiko. Vorsichtshalber raten wir, Vorstellungsgespräche auf Arbeitgeberseite mit zwei Personen zu führen. Die Auswahl der Bewerberinnen/Bewerber sollte sorgfältig dokumentiert werden.
Bewahren Sie alle relevanten Informationen wenigstens für die Dauer der Klagefrist auf. Bei „Risikofällen“ und evtl. bei hochdotierten Stellen sollte darüber nachgedacht werden, die Absage per Einschreiben zu versenden, um den Zugang der Ablehnung beweisen zu können. Die Personalabteilung sollte jedenfalls eine Liste über die Absagen führen, um deren Versand beweisen zu können. Absageschreiben sollten neutral und inhaltsleer abgefasst werden.
Hinweis:
Zur Vermeidung von Schadensersatzansprüchen empfiehlt es sich aus unserer Sicht dringend, das dritte Geschlecht in Stellenanzeigen mit "divers" aufzunehmen, z. B. "Mitarbeiter (m/w/d)". Vorzugsweise sind jedoch geschlechtsneutrale Formulierungen zu wählen.
Umgang mit Beschwerden (Beschwerdemanagement)
Arbeitgeber sind verpflichtet eine Beschwerdestelle einzurichten und die Mitarbeiterinnen/Mitarbeiter darüber zu informieren. Beschwerden von Mitarbeiterinnen/Mitarbeitern müssen von der Beschwerdestelle geprüft werden. Sind sie berechtigt, ist Abhilfe zu schaffen. Das Ergebnis ist der/dem Betroffenen mitzuteilen. Die zur Prüfung und Abhilfe getroffenen Maßnahmen sollten von der Beschwerdestelle schriftlich dokumentiert werden. Es empfiehlt sich, sog. Verfahrensrichtlinien (zur Organisation, Zusammensetzung, Kompetenz etc.) aufzustellen.
Maßnahmen zum Schutz der Mitarbeiter
Dem Arbeitgeber obliegt die Pflicht, erforderliche Maßnahmen zum Schutz seiner Mitarbeiterinnen/Mitarbeiter vor Benachteiligungen zu treffen. Der Arbeitgeber muss seine Arbeitnehmerinnen/Arbeitnehmer für dieses Thema sensibilisieren.
Er muss deutlich machen, dass er keinerlei Benachteiligung duldet und jegliche Benachteiligung von Kolleginnen/Kollegen arbeitsrechtliche Sanktionen zur Folge hat. Verpflichten Sie auch Ihre Lieferanten oder Kunden zu einer diskriminierungsfreien Vertragsdurchführung und nehmen Sie entsprechende Regelungen in Ihre AGB auf. Alle Mitarbeiterinnen/Mitarbeiter, Betriebsrat und vor allem Führungs- und Personalverantwortliche sind entsprechend zu informieren und mit Nachweis zu schulen. Bei Neueinstellungen ist auf eine entsprechende Belehrung zu achten.